Die Religion der Liebe und Schönheit

Es gibt ein dreifaches geistiges Leben. Das eine ist in euch und in allen individuellen Dingen individuell, es ist die Eigenbeseeltheit, das andere ist um euch und um alle Dinge, es ist die Allbeseeltheit, das dritte ist über euch, es ist die höchste Individualität, die allliebende Gottheit. Was in euch ist, soll euch durch Glauben und Streben zum Besseren antreiben. Was um euch ist, soll euch fördern und zum Guten befruchten. Was über euch ist, soll euch erheben und beglücken! Über allem aber steht die Vorsehung.

Jedes individuelles Leben ist in seinem Wesenskern auch weltursächlich. Im kallisophischen Bewusstsein dient das eigene, unbedingte Wahrnehmen als Schlüssel, um tiefe Erkenntnisse über das Leben zu gewinnen und sie selbstverantwortlich, weise und kreativ alltäglich einzusetzen. So sieht Carl Huter die geistige Freiheit des Individuums als eine Einheit:  Alles, was ins Leben trat, wurde individuell, grenzte sich ab vom anderen, vom All durch individuelles Empfinden, durch individuelle Gedankenformen und Körperformen. Alles, was lebt, hat individuellen Lebenswillen, es gibt nicht zwei Individuen, die sich in allem völlig gleich sind – und die Ganzheit des Geistesleben als das Universale: Es gibt ein äusseres und ein inneres Erkennen. Das äussere Erkennen nennen wir das naturwissenschaftliche oder objektive, und doch erkennen wir diese äussere Welt mit einem Teile der inneren Welt, nämlich mit dem eigenen Geiste. Alles äussere Erkennen ist Anschauung, das aber, womit wir erkennen, ist Gefühl. Das Gefühl ist daher die innere Welt. Im Empfinden liegt die eigene Tiefe, mit welcher wir die Tiefen alles anderen erfassen können. Mit der Anschauung erfassen wir nur die Oberfläche. Alle Naturwissenschaft bewegt sich daher an der Oberfläche der Dinge. Die Philosophie führt uns erst in die Weite, das Gefühl in die Tiefe. Die Kunst, die Poesie und Religion und das sittliche Gefühl führen uns also in die Tiefe der Dinge, sie erregen das Innerste des Lebens. Das äussere Erkennen ist die eine, das innere die andere Seite der Erkenntniskraft. Das erstere pflegt die Naturwissenschaft, das letztere die okkulte oder auch die göttliche Wissenschaft. Dieses letztere Erkenntnisvermögen, das aus der göttlichen Natur gewonnen wird, beginnt, mit dem Hellfühlen, Fernfühlen, Hellsehen, Vorausschauen, es ist der wahren Weisheit Born und die Allgewalt des Geistigen überhaupt.

Wie finden wir unser Lebensvertrauen? Wie gelingt Zwiesprache zwischen innerem Leben und forderndem Alltag? Ist Rückzug in Stille, eigenes Denken und Fühlen der einzige Weg – oder bleibt auch das reale Leben ein Handlungsort und ein königlicher Weg der Erkenntnis? Welche Masse und Ausrichtung können dem eigenen Fühlen und Denken zur Orientierung dienen? 

Carl Huter: Religiöses Leben dient der Liebe und der damit verbundenen Lebensverantwortung. In diesem Sinne kann sich persönliches, spirituelles Leben mit religiöse-historischem verbinden, ergänzen oder auch widersprüchlich unterscheiden: Liebe, schöpferische Liebe und das Gute, das heilige Gute ist ausschliesslich allein der innere, wahre Wesenskern alles religiösen Denkens, Fühlens und Handelns. Uns weiter: Religion ist kurzgesagt, Streben nach Glück und Vollkommenheit, nicht gegen, sondern für das Gesamtinteresse der ganzen Menschheitsfamilie.

Die Religion der Liebe und Schönheit (kurzer Auszug)
II. Das Leben und das aufsteigende Werden aller Dinge wurzeln in der Liebe, das Liebesempfinden ist die Wurzelkraft das Geistigen und Göttlichen
11. Diese sich vor unseren Augen sichtbar abspielenden Tatsachen sind das Beispiel im Kleinen, wie sich das Sein der Welt entwickelt hat und auch fernerhin abspielt.
12. Die Liebe ist die herrschende Kraft im Weltall, durch sie empfindet alles, und durch das Empfinden fühlt wiederum alles die Liebe.
13. Die Liebe ist daher das wahre Höherentwicklungsprinzip, daher ohne Liebe keine Erkenntnis.
14. Die Liebe ist das Leitprinzip. Alles das, was sie beseelt, sucht sie höher emporzubilden, sucht sie empfindungsreicher, organisch gegliederter, stärker und schöner zu gestalten.
15. Die Liebe will beglücken und verschönern und über sich hinaus Höheres schaffen.
16. Die wahre Liebe hat in ihrer Fülle stets das Gefühl für das heilige und auch für das Höhere.
17. Aus diesem Idealismus heraus, der ursprünglich rein geistiger Natur ist, quillt alle Schöpfung und Höherbildung hervor.
18. Diese schöpferische Gestaltungskraft hat stets einen Zentralisationspunkt, denn je mehr Konzentration der Liebe, desto flammender und heiliger ist die Liebesbetätigung.
19. Dieses fortwährende Werden der Liebeskonzentration ist der allvorhersehende und vorarbeitende Geist, sowohl in der lebenden Zelle wie in allen Dingen.